Mit den Schulschließungen und dem damit einhergehenden Fernunterricht, der auch immer wieder als sogenanntes Home-Schooling betitelt wird, kommt die Frage der Teilhabe von einigen Schülerinnen und Schülern an der Bildung auf. Bildungsgerechtigkeit – Chancengleichheit – Schulschließungen… wo ist der Fehler?

Viele Schülerinnen und Schüler haben schwerwiegende Schwierigkeiten bildungsrelevante Inhalte zuhause zu erwerben. Nach vielfältigen Befragungen insbesondere von Sonderschullehrkräften haben einige Schüler*innen eine Reihe Schwierigkeiten, im Fern-Unterricht an Bildung teilhaben zu können.

Besonders Schülerinnen und Schüler aus bildungsfernen Haushalten und/oder jene mit verschiedenen Förderbedarfen werden durch die Corona-Krise abgehängt. Einige der folgenden Aspekte spielen dabei eine Rolle:

Unzureichendes Arbeitsmaterial

Einige Schüler*innen…

  • verfügen nicht über eigene digitale Endgeräte.
  • müssen sich die Endgeräte mit den anderen Familienmitgliedern teilen.
  • haben zum Ausdrucken von Material häufig keinen Drucker zur Verfügung.
  • haben ggf. keinen Zugang zu WLAN.

Schwierigkeiten mit dem inhaltsbezogenes Lernen im Fernunterricht

Einige Schüler*innen…

  • können nur über die direkte Anschauung lernen und sind mit Arbeitsbögen, Texten usw. überfordert.
  • haben keinen Zugriff auf das Anschauungsmaterial, wie bspw. die Rechentafel, die sich in der Schule befindet.
  • benötigen zum Lernen zwingend Motivatoren, z.B. durch die Lerngruppe oder die Lehrkräfte.
  • benötigen vielfältige Erklärungen und Visualisierungen in einzelnen Schritten.

Häusliche Unterstützung

Einige Schüler*innen

  • erfahren keinen strukturierten Tagesablauf im Haus
  • werden nicht beim Aufstehen unterstützt.
  • erhalten keine regelmäßige Mahlzeiten.
  • müssen ggf. auf kleinere Geschwister aufpassen.
  • haben keinen ruhigen Platz zum Arbeiten, wie z.B. ein eigenes Kinderzimmer mit Arbeitsplatz.
  • werden von den Eltern weder inhaltlich (beim Verständnis der Aufgaben) noch strukturell (z.B. Einteilung der Aufgaben über den Tag/die Woche oder beim Bedienen der digitalen Lernprogramme) unterstützt.
  • die Deutschkenntnisse der Eltern reichen für die inhaltliche Unterstützung nicht aus.

Psychische Belastung

Einige Schüler*innen…

  • haben ggf. Sorgen und Ängste in Bezug auf die Corona-Pandemie, die mit ihnen nicht ausreichend besprochen wurden.
  • erfahren durch die Beengtheit großen seelischen Druck durch die Familie.
  • erfahren ggf. häusliche Gewalt.

Schlechte Erreichbarkeit

  • Das Telefon wird nicht abgenommen.
  • Die Online-Aufgaben werden nicht eingereicht.
  • Auf E-Mails wird nicht reagiert oder die Familie hat keine E-Mailadresse.

Erste Hilfe?

Eine erste Hilfe wird durch das BMBF angekündigt – es werden 500 Mio. Euro vom Bund bereitgestellt, um das digitale Lernen bereit zu stellen. Damit sollen unter anderem bedürftigen Kindern Endgeräte zur Verfügung gestellt werden. Jedes Kind erhält dafür 150 Euro. Die Übergabe an die Länder wird noch verhandelt.

Dies ist sicherlich ein erster sinnvoller Schritt in die richtige Richtung – meines Erachtens reicht dies noch lange nicht aus! Wenn wir eine chancengleiche Bildung erreichen wollen, müssen wir auch die (digitalen) Lernmittel für alle Schüler*innen zur Verfügung stellen.

Ein erster Schritt haben einige Schulen im Alleingang beschritten: Es wurden „digitale“ Spenden gesammelt, Firmen haben Schüler*innen alte digitale Endgeräte zur Verfügung gestellt, Schulen leihen bedürftigen Schüler*innen Endgeräte wie Tablets oder Laptops für die Zeit der Schulschließungen aus, einige Städte und Kommunen gewähren eine Bezuschussung digitaler Endgeräte.

Was können Lehrkräfte tun?

Die Handlungsspielräume der Lehrkräfte in der Corona-Krise erscheinen beschränkt. Die Schüler*innen oder auch die gesamte Familie können durch die Kontaktsperre vom Sichtfeld verschwinden. Es sind mehr Schüler*innen zu betreuen als es über die Ferne in einer angemessenen Intensität von Nöten ist. Nicht umsonst fordert Klaus Klemm, dass besonders sozial-benachteiligte Schüler*innen zu den ersten Schülergruppen gehören sollten, die die Schulen wieder besuchen dürfen.

Dennoch ist es möglich, Rücksicht auf benachteiligte Schüler*innen zu nehmen.

Arbeitsmaterial

In Bezug auf das Arbeitsmaterial ist wichtig, zunächst die digitalen Möglichkeiten der Schüler*innen zu erfragen und auf der Grundlage dessen den Fernunterricht individuell zu planen und zuzuschneiden. Ggf. ist in Erwägung zu ziehen, inwieweit eine Technikspende oder eine Ausleihe von digitalen Endgeräten durch die Schule realisiert werden kann.

In der JIM-Studie konnte bei Befragungen von 12 bis 19-jährigen Jugendlichen aufgezeigt werden, dass in 99% der Haushalte ein Smartphone sowie in 98% der Haushalte ein Laptop sowie WLAN vorhanden sind.

Geräte-Ausstattung im Haushalt - JIM-Studie 2019
Geräte-Ausstattung im Haushalt – JIM-Studie 2019 (Quelle)

Je nach Alter besitzen zwischen 84 und 99 % der Jugendlichen sogar ein Smartphone und können zu 76 bis 97 % auf das WLAN zugreifen.

Gerätebesitz Jugendliche JIM 2019
Gerätebesitz Jugendlicher nach Alter differenziert – JIM-Studie 2019 (Quelle)

Daraus lässt schließen, dass es möglicherweise der beste Weg für Kommunikation und Bereitstellung von Arbeitsmaterial das Smartphone ist. Hieraus folgt:

  • Bei Verwendung von jeglichen Anwendungen (bspw. Videokonferenztools, wie Jitsi, Webex und Co.) darauf achten, dass diese auch auf dem Smartphone verwendet werden kann.
  • Möglichst keine Arbeitsbögen zum Ausdrucken bereitstellen – oder alternativ sicherstellen, dass die Bögen auf anderem Wege (per Post) zu den Lernenden gelangen.
  • Ggf. auf kostenfreie Apps zurückgreifen, wie die Anton-App.

Außerdem können Eltern die Schüler*innen ggf. nicht darin unterstützen eine Software zu installieren (aus den verschiedensten Gründen). Daher ist es besonders sinnvoll bei Videosoftware darauf zu achten, dass diese am besten über einen Link oder alternativ über eine App, aber nicht zwingend ausschließlich durch eine Software auf dem Laptop zur Verfügung gestellt wird.

Inhaltsbezogenes Lernen

Besonders Schüler*innen mit Lernschwierigkeiten fällt es besonders schwer, sich selbst einen Lernplan zu erstellen. Daher ist es sinnvoll bei der Bereitstellung von Material folgendes zu berücksichtigen:

  • Die Arbeitsmaterialien sollten zusätzliche Hilfen enthalten, die den Schüler*innen vorgeschlagen werden: „Was kann ich tun, wenn ich diese Aufgaben nicht lösen kann?“ Als Hilfestellung kann auf Seiten im Buch, auf Freunde z.B. via Telefon/Messenger, auf Erklärvideos oder hilfreiche Webseiten verwiesen werden.
  • Die Aufgaben sollten schrittweise aufgebaut werden (z.B. im Rahmen eines Kompetenzrasters).
  • Die Aufgaben sollten, wie im Unterricht auch, für die einzelnen Schülergruppen differenziert dargeboten werden.
  • Besonders Schüler*innen mit kognitiven Einschränkungen benötigen Anschauung: Es sollte unterschiedliches Anschauungsmaterial (als App, Realgegenstände, Bilder, Videos, …) zur Verfügung gestellt werden.
  • Erklärvideos: Den Schüler*innen sollte vor dem Einstellen von Erklärvideos erklärt werden, wie sie mit diesen Videos umgehen (schauen, anhalten, zurückspulen, von Vorne sehen, eigenes Verständnis prüfen usw.).
  • Die Schüler*innen benötigen eine Tagesstruktur. Es sollte überlegt werden, wie die Schüler*innen ihre Aufgaben in der Woche und auch innerhalb eines Tages planen. Hierfür bietet sich ggf. ein Padlet an, in dem eine Tages- oder Wochenstruktur mit der Verteilung der unterschiedlichen Aufgaben abgebildet werden kann.

Kommunikation

Bei vielen Schüler*innen stehen andere Sorgen als die Bearbeitung von Aufgaben im Vordergrund. Diese sollten zwingend Berücksichtigung finden. Die Aufrechterhaltung des Kontakts zwischen Schüler*innen und Lehrkräften steht im Vordergrund. Die Beziehungsarbeit ist wichtiger als die Prozentrechnung! Hierbei ist es möglich auf verschiedene Formate zurückzugreifen:

  • Video-Unterricht mit einem der verschiedenen Videokonferenztools (Jitsi, Webex, …) – sowohl alleine als auch in der Gruppe.
  • Telefonate oder auch eine Telefonsprechstunde für Schüler*innen
  • Messenger (z.B Threema Education oder Schoolfox)
  • E-Mails oder Möglichkeiten der Kommentare über Lernmanagement-Plattformen (Feedback ist hier essentiell).

Corona macht Angst

Viele Kolleginnen und Kollegen benennen noch eine weitere Problematik. Viele ihrer Schüler*innen sind durch ihre Eltern nicht ausreichend über das Virus und die Krankheit COVID-19 informiert. Dies verursacht Ängste oder auch leichtfertigen Umgang mit dem Virus. In Gesprächen mit den Schüler*innen kann dem entgegengewirkt werden. Auch kann das Virus selbst Teil des Unterrichtsstoffs werden.

Eine Möglichkeit wäre auch, mit den Schüler*innen ein Bilderbuch zu lesen:

Lese-Stoff zu diesem Thema

Ich habe euch ein paar Lesetipps zum Thema Fernunterricht in der Corona-Krise und Teilhabe einiger Schüler*innen zusammengestellt:

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